Kanzlei Freudenreich

Alternativverurteilung im Urkundenprozess


1. Die vertraglich vereinbarte Mietsicherheit kann im Wege der Alternativverurteilung als Barkaution oder Mietbürgschaft im Urkundenprozess geltend gemacht werden.
2. Die Leistung der Mietsicherheit steht nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma), ihre Fälligkeit folgt allein nach dem Vertrag.
3. Die Vertragsbeendigung steht der Geltendmachung der Mietsicherheit nicht entgegen, wenn noch Ansprüche im Raum stehen.

LG Wiesbaden v. 30.03.2022, Az.: 12 O 58/21
§§ 592, 599 I ZPO und §§ 242, 162 BGB

Problem/Sachverhalt

Die Mieterin schuldet aufgrund schriftlichen Gewerberaummietvertrages, ergänzt durch 3 Nachträge, Leistung der Mietsicherheit als Barkaution oder „nach Wahl des Mieters“ als selbstschuldnerische Bürgschaft auf 1. Anfordern nach Maßgabe des Mietvertrages. Nach Eintritt der vertraglich vereinbarten Fälligkeit und erfolgloser Mahnung klagt der Vermieter auf Leistung der Barkaution, alternativ auf Leistung der Bankbürgschaft (Wahlschuld) im Urkundenprozess. Nach Klageerhebung kündigt der Vermieter u. A. wegen Nichterbringung der Mietsicherheit/Kaution das bestehende Mietverhältnis. Im Verlauf des Urkundenverfahrens erhebt der Mieter zahlreiche Einwendungen, welche außerhalb des Mietvertrages liegen und durch diesen nicht belegt werden können, weiter hält er die Klage wegen erfolgter Kündigung für „treuewidrig“.

Entscheidung

Das LG erlässt Vorbehaltsurteil und behält der Beklagten die Geltendmachung ihrer Rechte im Nachverfahren vor. Da die Verpflichtung zur Erbringung der Barkaution oder nach Wahl der beklagten Mieterin durch selbstschuldnerische Bankbürgschaft im Mietvertrag konkret geregelt ist, einschließlich deren Fälligkeit, spätestens 8 Monate vor dem frühesten Übergabetermin, ist die Urkundenklage statthaft, § 592 ZPO und im Ergebnis nach dem Mietvertrag auch begründet. Die von der beklagten Mieterin erhobenen Einwendungen, da sie nicht aus dem Mietvertrag hergeleitet werden können (insbesondere die Einrede aus §§ 242, 162 BGB), gehören nach Auffassung des LG in das Nachverfahren, § 600 I ZPO. Die Mietsicherheit ist „ipso iure“ bedingungsfeindlich und steht nicht im Synallagma, d.h. sie ist regelmäßig fällig und im Voraus zu erbringen. Denn die Mietsicherheit dient der Absicherung des Vermieters für den Fall, dass der Mieter seine mietvertraglichen Pflichten verletzt oder gar nicht erfüllt. Im Hinblick auf den Sicherungszweck der Mietkaution hat ein Mieter kein Zurückbehaltungsrecht an der Kaution wegen Mängeln der Mietsache oder anderer behaupteter Forderungen und kann damit auch nicht gegen den Anspruch des Vermieters aufrechnen. Ferner kann der Vermieter auch noch nach Beendigung des Mietverhältnisses die vertragswidrig nicht gezahlte Kaution verlangen, sofern ihm noch mögliche Ansprüche gegen den Mieter zustehen, insbesondere dann, wenn der klagende Vermieter aus der von ihm ausgesprochenen fristlosen Kündigung Schadenersatzansprüche herleitet (seit BGH VII ZR 65/11, VIII ZR 332/79 und KG Berlin, 12 W 90/07 st. Rspr.).

Praxistipp

Die Entscheidung stellt eine knappe Zusammenfassung der im Urkundenprozess möglichen Geltendmachung der Mietsicherheit als Wahlschuld dar. Fraglos handelt es sich bei der Barkaution um eine bestimmte Geldsumme nach § 592 Satz 1 ZPO. Aber auch die Geltendmachung der selbstschuldnerischen Bankbürgschaft wird aufgrund der Erstaufforderungsklausel in der Bürgschaftsurkunde einem Wertpapier nach § 592 Satz 1, 3. Alternative ZPO gleichgestellt. Die innere Rechtsfertigung des Urkundenprozesses und seines Vollstreckungsprivilegs in Form des Vorbehaltsurteils liegt in der generell erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit des von den Urkunden gestützten Rechtsschutzbegehrens (seit BGHZ 62, 286, 290 = LM § 592 ZPO Nr. 3 u. BGH vom 20.07.2001, IX ZR 80/98) und eröffnet daher seit dem Grundsatzurteil des BGH in NJW 1953, 1707 f. für vergleichbare Fälle, die Wahlverurteilung auf Barkaution oder Bankbürgschaftsurkunde. Eine in sich geschlossene und stimmige Entscheidung zum Urkundenprozess!

RA u. FA f. Miet- u. Wohnungseigentumsrecht
Michael E. Freudenreich, Ffm.

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