Kanzlei Freudenreich

BGH: „Lockdown“ weder Mangel, noch Unmöglichkeit“


1. Covid-19-bedingte Geschäftsschließungen begründen weder einen Mangel, noch die Unmöglichkeit des Mietgebrauchs.
2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Tanzverbotsfällen ist nicht mehr aktuell.

BGH v. 12.01.2022 XII ZR 8/21
§§ 275 I, 313 I, 326 I, 536 I Satz 1 EGBGB Art. 240 § 2

Problem/Sachverhalt

Das OLG Dresden hatte mit Urteil vom 24.02.2021 (5 U 1782/20 = IMR 2020, S. 190) die Verurteilung des Mieters durch das LG zur vollständigen Zahlung coronabedingt geminderter Miete, aufgehoben und, nach dem es Mangel und Unmöglichkeit verneint, im Rahmen von § 313 I BGB auf hälftige Anpassung der Miete für den Zeitraum März/April 2020 erkannt. Hiergegen richten sich die Revisionen von Vermieter und Mieter.

Entscheidung

Der BGH hält die Revisionen gegen die Anpassung nach § 313 I BGB für begründet, dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Soweit das OLG Mangel und Unmöglichkeit verneint, ist dies zurecht erfolgt (Rn. 26 ff.).
Nach umfangreicher Prüfung und Auseinandersetzung mit den bisher aufgezeigten Rechtsfragen, verneint der BGH (wie die h.M.) das Vorliegen eines Mangels bzw. einer Unmöglichkeit. Die Streitfrage, ob Art. 240 § 2 EGBGB Sperrwirkung für die Anwendung der allgemeinen Vorschriften und der mietrechtlichen Gewährleistungsregeln entfaltet und damit eine abschließende Regelung darstelle, wird vom BGH mit der überwiegenden Meinung verneint. Die Eile, mit der der Gesetzgeber im März 2020 handeln musste, gebe für eine abschließende Regelung auch nach dem Wortlaut keine Anhaltspunkte. Aus der Vereinbarung eines konkreten Mietzwecks folge keine Einstandspflicht des Vermieters für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung. Aus dem Mietzweck könne nicht auf einen Mangel geschlossen werden (Rn. 35 f. m.N.).
Mit nachvollziehbarer Begründung werden staatliche Geschäftsschließungen nicht als objekt-, sondern als betriebsgezogen (so auch die h.M.) eingestuft und betreffen allein das Verwendungsrisiko des Mieters (Rn. 28 m.N.).
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den sog. Tanzverbotsfällen (RGZ 87, 77, 280; 89, 203, 205) wird mit überzeugender Begründung abgelehnt.
Die Lehre von der Geschäftsgrundlage hat das Reichsgericht erst zu einem späteren Zeitpunkt entwickelt (RGZ 100, 129), was seinen vormals weiten Mangelbegriff erklärt. Aufgrund Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Gewerberaummiete hat sich die grundsätzliche Risikoverteilung zwischen Vermieter und Mieter geändert.
Der BGH bejaht einen Mangel nur (noch) bei unmittelbaren Beeinträchtigungen (Raucherurteil v. 13.07.2011 NJW 2011, 3151). Denn die pandemiebedingte Betriebsuntersagung stellt ein Gebrauchshindernis dar, das weder auf die körperliche Beschaffenheit, noch den Zustand oder die Lage der Mietsache Einfluss hat. Ein redlicher Mieter darf daher das Leistungsversprechen seines Vermieters im Zweifel nicht dahin verstehen, dass dieser ihm die vereinbarte Nutzung unter allen erdenklichen Umständen garantieren oder eine entsprechende Einstandspflicht hierfür übernehmen wolle (vgl. OLG München NJW 2021, 948 f). Ob historisch bekannte Pandemie- und Seuchenrisiken wegen § 536 b Satz 1 BGB zum Einwendungsausschluss bei Realisierung gesetzlich vorbehaltener Maßnahmen führen (so der Verfasser in IMR 2021, 457 unten re.), wird offengelassen.

Praxistipp

In dem der BGH der überwiegenden Meinung der Oberlandesgerichte und der Literatur folgt, lässt sich durchaus verallgemeinernd feststellen, dass Fragen des Mangels und der Unmöglichkeit im Rahmen der Corona-Problematik ausgestritten sind. Inwieweit der Schutzzweck des Art. 240 § 2 EGBGB, der Verbrauchern und Kleinstunternehmern ihren Lebensmittel und ihre Existenzgrundlage schützen soll, sich auch auf Gewerberaummieter erstreckt, die, wie die meisten Filialisten über Jahresumsätze im mehrstelligen Millionenbereich verfügen, wird die weitere Entscheidungspraxis des XII. Senates aufzeigen. Es bleibt daher spannend.

RA Michael E. Freudenreich, Ffm.

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