Kanzlei Freudenreich

Corona-Miete und Urkundenprozess


Aus einer Covid-19-bedingten Betriebsschließung, auch wenn unstreitig, gerichtsbekannt und offenkundig, können im Urkundenprozess Einwände nach §§ 536 I Satz 1, 275 I u. 313 I BGB nicht abgeleitet werden.

LG Frankfurt am Main vom 05.03.2021, Az.: 2-08 O 175/20
§§ 535 II, 536 I, 275 I, 326 I Satz 1 u. 313 BGB, § 592 ZPO

Problem/Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Zahlung von Miete für Gewerberäume in einer zentralen Einkaufslage, die vertraglich zum Betrieb eines handelsüblichen Bekleidungsgeschäfts mit Kosmetik und Randsortimenten in gebrauchstauglichem Zustand überlassen worden sind. Wegen der landesweiten Corona-Verordnung fand im Zeitraum vom 18.03.-20.04.2020 der Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts mit Publikumsverkehr in dem Mietobjekt nicht statt. Die Beklagte leistete für den Monat April 2020 keine Miete und beruft sich auf Minderung, Unmöglichkeit und Anpassung nach § 313 BGB. Die Klägerin macht die offene Miete im Urkundenprozess geltend.

Entscheidung

Mit Erfolg!
Das Landgericht gibt der Urkundenklage mit der Begründung statt, dass der Mietzinsanspruch als einzige Voraussetzung für sein Bestehen aus der unterschriebenen Mietvertragsurkunde bewiesen werden kann.
Die Mangelfreiheit oder das Vorliegen eines Sachverhalts, der eine Vertragsanpassung rechtfertige, sind vom Vermieter für die Schlüssigkeit seiner Mietzinsforderungen nicht darzulegen (st. BGH-Rspr. seit 16.10.2013 XII ZR 64/12 m.w. Literaturhinweisen).
Ist unstreitig, dass zwischen den Parteien ein Mietverhältnis besteht und die Beklagte für den besagten Zeitraum keine Mietzahlung geleistet hat, ist die im Urkundenverfahren zu berücksichtigende Tatsachengrundlage nach § 535 II BGB entscheidungsreif. Die Betriebsschließung wegen der SARS-CoV-2-Pandemie ist kein Mangel i.S.v. § 536 I 1 BGB.
Denn die Nutzungsbeschränkung resultiert ausschließlich auf dem zu erwartenden Kundenverhalten infolge der Corona-Verordnung und nicht auf einer Zutrittsversagung, weil von den angemieteten Räumlichkeiten eine „Gefährdung“ der Kunden ausgehe, wie dies z.B. bei Verletzung von Sicherheitsvorschriften baulicher Art, Baustoffen o.ä. der Fall wäre. Daher ist die Anordnung nicht objektbezogen, sondern abstrakt und alleine mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Kontaktminimierung erlassen worden. Dies hat mit den baulichen Gegebenheiten oder der Lage des Mietobjektes nichts zu tun. In der fehlenden Nutzung als Verkaufsfläche realisiert sich lediglich das Verwendungsrisiko für die Mieterin, so dass auch Unmöglichkeit i.S.v. §§ 275 I, 326 I Satz 1 BGB entfalle. Die Anpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage scheitere wegen der nachzuweisenden Existenznot (untragbares Ergebnis) in der Vortragsebene. Rechtliche Einwände, deren Bewertung der Auswertung streitigen Vortrags bedürfen, sind erst im Nachverfahren zu prüfen. Soweit sie aus der unstreitigen Schließungsanordnung abgeleitet werden, können sie verneint werden, andere Sachverhalte (die vorliegend zwar nicht zu vermuten stehen, aber denkbar wären), sind im Nachverfahren nicht ausgeschlossen.
Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe einer 1,3 RVG-Gebühr (BGH vom 25.11.2015 IV ZR 277/14), hat eine geschäftserfahrene Vermieterin dann, wenn es sich -wegen Corona- nicht um einen Standardfall handelt und mit der Anspruchsverfolgung rechtliches Neuland betreten wird.

Praxistipp

Das Urteil liegt auf der Linie der überwiegenden Meinung der Instanzgerichte (s. IMR 2021, 72 m.N., zuletzt OLG Karlsruhe vom 24.02.2021 Az.: 7 U 109/20), mit der Besonderheit, dass rechtliche Einwände auf Vortragsebene im Urkundenprozess scheitern. Da Minderung, Unmöglichkeit und Anpassung nach § 313 BGB auf streitigem Vortrag beruhten, seien sie erst im Nachverfahren zu prüfen.
Erfreulich ist auch, dass die außergerichtliche anwaltliche Anspruchsverfolgung von Corona-Miete rechtliches Neuland im Sinne der 1,3-RVG-Gebühr darstellt.

RA u. FA f. Miet- u. Wohnungseigentumsrecht
Michael E. Freudenreich, Ffm.

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