LG Mannheim v. 09.06.2022 Az. 6 O 209/21 (rechtskräftig)
BGB §§ 985, 546 II analog, ZPO 794 I Nr. 5 u. 29a
Die Parteien streiten um Zahlung von Nutzungsentgelt und Räumung gegen den Veräußerer und dessen „verschwiegenen“ Mitbesitzer. Der Kaufvertrag sieht eine befristete (wohnliche) Nutzung mit ortsüblichem Nutzungsentgelt vor.
Die Käuferin macht, nach dem der Veräußerer nicht fristgerecht räumt, von diesem vertragliches Nutzungsentgelt auf der Grundlage eines Verkehrswertgutachtens und gegen den Mitbesitzer Räumung vor dem Landgericht geltend. Der Beklagte meint, ein „Mietverhältnis“ sei zustande gekommen und rügt die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 29a ZPO, das Verkehrswertgutachten hält er für unzutreffend und bestreitet den geltend gemachten Nutzungsentgang der Höhe nach.
Das Landgericht gibt der Klage statt und hält das zuvor erlassene VU aufrecht. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts folge -streitwertbedingt- wegen Einordnung der wohnlichen Nutzung als kaufvertragliche Nebenabrede i.V.m. der zuvor eingegangenen Vollstreckungsunterwerfung des Verkäufers. Denn eine solche Vollstreckungsunterwerfung des Veräußerers wäre nicht möglich, wenn es sich bei der Nutzungsüberlassung um eine „mietvertragliche“ handeln würde, § 794 I Nr. 5 ZPO. Dieser Umstand spricht dafür, dass der Abschluss eines Mietvertrages gerade nicht gewollt war. Auch bei längerer Raumüberlassung nach Veräußerung ist von einer Willensübereinstimmung zu Begründung eines Mietverhältnisses regelmäßig nicht auszugehen (Zöller/Geimer ZPO 34. Aufl. 2022 § 794 Rn. 26).
Wer Wohnraum jedoch nicht als Mieter, sondern in anderer Eigenschaft (Eigenbesitzer) innehat, kann sich der Räumungspflicht unterwerfen und begründet kein Mietverhältnis (ebenso LG Hechingen v. 18.01.2022, 2 O 21/22; AG Ingolstadt v. 01.12.2000, 1 M 12237/00 u. AG Fritzlar v. 07.09.2005, 9 M 2377/05, jetzt wohl h.M.).
Soweit der Anspruch auf Nutzungsentgelt aus dem Notarvertrag folge, könne sich der Käufer der Höhe nach auf ein im vorgegangenen Zwangsversteigerungsverfahren ergangenes Verkehrswertgutachten als qualifizierten Parteivortrag stützen. Einfaches Bestreiten des Beklagten mit „unzutreffend“ genüge dann nicht. Ein Privatgutachten stellt regelmäßig qualifizierten Parteivortrag dar, bloße Kritik hieran ist kein erhebliches Bestreiten! (ebenso OLG Düsseldorf v. 09.12.2021, I-2 U 1/21 = IBR 2022, 164). Dies gilt insbesondere dann, wenn dem Gegner nähere Angaben zumutbar sind (BGH v. 15.08.19, III ZR 205/17, Rn. 23).
Für den Fall, dass der Verkäufer sich in einer kaufvertraglichen Nebenabrede nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums zur Räumung verpflichtet, die Immobilie ohne Kenntnis des Käufers Dritten überlässt, besteht gegenüber dem Dritten eine planwidrige Regelungslücke, analog § 546 II i.V.m. § 985 BGB (ebenso LG Oldenburg. v. 30.03.2022, 5 S 386/21, das zwischen Herausgabe nach § 985 u. Räumung § 546 II BGB differenziert).
Bei vergleichbarer Interessenlage zu § 546 II BGB müsse der Erwerber seinen Anspruch auf Räumung auch auf weitere Personen erweitern können, um erfolgreich vollstrecken (s.a LG Saarbrücken Beschl. v. 11.08.2022, Az. 6 O 100/22, wonach der verschwiegene Mitbesitzer regelmäßig auch zur Klage Anlass i.S.v. § 93 ZPO gibt).
Das Urteil entfaltet nach Rechtskraft eine gewisse Grundsatzwirkung für vergleichbare Streitfälle, die bzgl. der Zuständigkeit des Landgerichts, der Inanspruchnahme des Verkäufers auf Nutzungsentgelt und Räumung gegen den „verschwiegenen“ Mitbesitzer klare Kante zeigt.
RA Michael E. Freudenreich, Ffm.