Kanzlei Freudenreich

Saldoklage im Urkundenprozess, Rechtskraft und Nachverfahren


1. Mehrfach indexorientiert erhöhte Miete kann im Urkundenprozess geltend gemacht werden.
2. Die Vorlage eines Mietkontoauszugs/Saldos reicht regelmäßig aus.
3. Das rechtskräftige Vorbehaltsurteil entfaltet auch für das Nachverfahren Bindungswirkung, als es nicht auf den Eigenheiten des Urkundenprozesses beruht.

LG Frankfurt/M., Urteil vom 17.02.2022, Az. 2-28 O 191/21 (rechtskräftig)
§§ 535 II, 240 I BGB, 593 I, 598 ZPO

Problem/Sachverhalt

Die Parteien streiten um rückständigen Mietzins sowie Wiederauffüllung des Kautionskontos im Zusammenhang mit einem gewerblichen Mietvertrag. Die Klägerin macht auf der Grundlage eines Mietensaldos, der auf den Mietvertrag und dessen Nachträge Bezug nimmt, indexorientierte, rückständige Miete sowie Wiederauffüllung der Kaution im Urkundenverfahren geltend. Die Beklagte hält die Klage für unzulässig, da es sich um eine Saldoklage handele und beruft sich wegen streitiger Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie auf Anpassung nach § 313 I BGB.

Entscheidung

Das Landgericht gibt der Klage im Urkundenprozess statt und weist darauf hin, dass die von der Vermieterin vorgelegten (indexorientierten) Mietanpassungsschreiben als anspruchsbegründende Tatsache im Urkundenprozess ausreichen, wenn der beklagte Mieter der Indexanpassung nicht entgegengetreten ist. Denn unstreitige Tatsachen müssen nicht durch Urkunden belegt werden (seit BGH NJW 1974, 1199 st. Rspr.). Die Saldoklage ist im Urkundenprozess schon dann hinreichend bestimmt, wenn sich die Höhe der Mietforderungen schlüssig aus dem Mietkontoauszug i.V.m. der Mietvertragsurkunde und dessen Nachträgen ergeben. Eine Aufschlüsselung des geforderten Gesamtbetrages dahingehend, welche Zahlungen auf welche Forderungen verrechnet wurden, ist zur Bestimmtheit der Klage nicht erforderlich. Demgegenüber waren die beklagtenseitigen Einwendungen gem. § 598 ZPO als im Urkundenprozess unstatthaft zurückzuweisen, da die Beklagte keine Fehlberechnung aufgezeigt hat. Die Verweisung auf eine Mietausfallversicherung genügt nicht, da es am Vortrag fehlt, dass gerade der hier streitige Sachverhalt („Covid19!“) durch die Police abgedeckt sei. Den Abschluss einer mietvertraglich empfohlenen Betriebsunterbrechungs-Versicherung hat die beklagte Mieterin nicht dargetan. Für die Einrede aus § 313 I BGB fehlt es wegen der BGH-Entscheidung vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21 = IMR 2022, S. 66) an substantiiertem Vortrag zur Einzelfallprüfung, insbesondere um welche möglichen Hilfeleistungen sich die Beklagte vergeblich bemüht hat. Gelingt ihr dies nicht, muss sie sich behandeln lassen, als hätte sie staatliche Unterstützung erhalten (BGH aaO. Rn. 61).

Praxistipp

Das Urteil entfaltet nach seiner Rechtskraft auch Bindungswirkung für das Nachverfahren.
Die positive Bindungswirkung des unbestritten gebliebenen Tatbestands des –rechtskräftigen- Vorbehaltsurteils gilt auch für das Nachverfahren fort, Arg. §§ 599, 600, 318 ZPO (seit RGZ 159, 173, 175 st.Rspr., ebenso BGH NJW 1950, 576, zuletzt NJW 2004, 1159).
Das (fehlende) Bestreiten des nach dem BGH grundsätzlich ausreichenden Mietensaldos (BGH v. 21.03.2018 VIII ZR 68/17), unterfällt wegen § 138 III ZPO nicht den Eigentümlichkeiten der Beschränkung der Beweismittel im Urkundenprozess. Denn aus dem Vorbehaltsurteil geht schlüssig hervor, dass der Klägerin ein Anspruch auf Miete und Mietsicherheit gem. den mietvertraglichen Regelungen i.V.m. den Nachträgen und §§ 535 II, 240 I BGB gegen die Beklagte zusteht. Wenn die von der Beklagen erhobenen Einwendungen rechtlich unerheblich bleiben, lagen dem Urkundenvorbehaltsurteil ausschließlich rechtliche Erwägungen zugrunde, die damit dem Streit der Parteien im Nachverfahren entzogen ist (BGH II ZR 70/81 Rn. 9; III ZR 134/86, XI ZR 36/03 Rn. 12; ebenso LG Wi Beschl. v. 23.06.2022, 12 O 58/21).
Eine weitere in sich geschlossene und stimmige Entscheidung zum Urkundenprozess.

RA u. FA f. Miet- u. Wohnungseigentumsrecht
Michael E. Freudenreich, Ffm.

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