OLG Köln vom 24.11.2021 (22 U 79/21)
Angewendete Vorschrift, BGB §§ 313 I, 535 II, 536 ff, 537 I, 326 I, 275 I, 134 BGB und §§ 592, 595 II, 598 ZPO
Die Parteien eines Gewerberaummietverhältnisses streiten über die Zahlung von Miete im Urkundenprozess. Der Mieter zahlt coronabedingt die Aprilmiete nur anteilig und verlangt die Märzmiete anteilig widerklagend zurück; die Miete in den Folgemonaten erbringt er vollständig. Das LG gibt der Klage ohne Vorbehalt nach § 599 I ZPO statt und weist die Widerklage ab. Der Mieter legt Berufung ein.
Das OLG hält die Klage im vom LG zuerkannten Umfang für statthaft und begründet. Das Verfahren wird nach Widerspruch im Urkundenprozess fortgesetzt, § 703a II Nr. 1 ZPO. Soweit die Aktivlegitimation streitig war, hat das OLG die Vorlage einer Privaturkunde als Kopie ausreichen lassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Echtheit und Übereinstimmung mit dem Original unbestritten sind, was im Rahmen des Freibeweises (§ 286 I ZPO) auch im Urkundenprozess berücksichtig werden kann.
Einen Sachmangel verneint das OLG (wie die h. M.) ebenso, wie Unmöglichkeit, letztere ist nach Überlassung der Mietsache nicht mehr anwendbar. Da die Schließungsanordnung nur die aktive Ausübung des Betriebs durch den Mieter und nicht die Zurverfügungstellung des Mietobjekts durch den Vermieter betrifft, liegt keine „Verbotsnorm“ i.S.v. § 134 BGB vor. Bei fortgesetzter Gebrauchstauglichkeit der Mietsache ist Nichtigkeit zu verneinen.
Die Erfüllung des normativen Merkmals (§ 313 I BGB), wie z. B. eine str. Existenzgefährdung oder eine mögliche schwere Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens des Mieters lassen sich bei der Interessenabwägung mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln nicht vollständig führen, § 598 ZPO, sie müssen daher im Nachverfahren erfolgen (ebenso OLG Ffm. v. 19.03.2021, 2 U 143/20).
Auch die Frage, ob und welche staatlichen Hilfen in Anspruch genommen wurden und sich der Mieter evtl. ein Unterlassen anspruchsmindernd anrechnen lassen muss, bleibt streitiger Parteivortrag, der urkundlich nicht belegt werden kann. Die auf einer Hilfsaufrechnung wegen § 812 I BGB beruhende Widerklage scheitert, denn ein Mangel wird vom OLG verneint.
Da der Gesetzgeber größere Unternehmen als nicht so schnell in ihrer wirtschaftlichen Existenz als gefährdet ansah, verbietet sich auch eine schematische Betrachtung. Gerade der begrenzte Minderungszeitraum (von 1 bis 2 Monaten) kann bei Fortentrichtung der Miete i. Ü. auch als Argument für ein fehlendes Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle herangezogen werden (ebenso LG Zweibrücken v. 11.09.2020, HKO 17/20 u. AG Düsseldorf v. 10.11.2020, 45 C 245/20).
Für die Erlangung eines Vorbehaltsurteils nach § 599 I ZPO kann, mangels Berichtigung/Ergänzung nach § 321 ZPO, alternativ auch der Rechtsmittelweg beschritten werden. Das OLG macht wie die h. M. hier von der Möglichkeit der Zurückverweisung (§ 598 II 1 Nr. 5 ZPO analog) Gebrauch (s.a. BGH NJW 2005, 2701, 2703).
Die Entscheidung stellt eine gute Zusammenfassung der im Urkundenverfahren durchsetzbaren Ansprüche dar. Die Tatsache, dass der Mieter die vereinbarte Miete mit Ausnahme der streitigen Monate im laufenden Jahr unverändert fortzahlte, ist bei der Unzumutbarkeitsprüfung nach § 313 I BGB kritisch zu prüfen und als möglicher Einwand von Vermieterseite zu erheben (jetzt auch BGH v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21).
RA u. FA f. Miet- u. Wohnungseigentumsrecht
Michael E. Freudenreich, Ffm.