Kanzlei Freudenreich

Grundstückskauf zur Abwendung der Zwangsversteigerung


1. Keine Sittenwidrigkeit, wenn der Benachteiligte vor Vertragsabschluss anwaltlich beraten wird.
2. Kein Ausnutzen (§138 I BGB), wenn Parteien auf Wertgutachten vertrauen und der Kaufpreisfindung zu Grunde legen.
3. Wer nach sofortiger Kaufpreiszahlung sein befristetes Rückkaufsrecht nicht ausübt und sich dennoch auf § 138 BGB beruft, handelt (selbst) sittenwidrig.

OLG Bamberg Beschluss vom 22.06.2021, Az.: 1 U 494/20, zuvor LG Aschaffenburg vom 10.12.2020, Az.: 13 O 260/20
§§ 138 I und II, 141 und 242 BGB, §§ 767 ff ZPO

Problem/Sachverhalt

Die Klägerin veräußerte ihre Immobile aufgrund eines im Zwangsversteigerungsverfahren eingeholten Verkehrswertgutachtens. Die beklagte Käuferin machte ein Kaufangebot mit höherem Kaufpreis bei sofortiger Räumung/günstigerem Kaufpreis mit befristeten Rückkaufrecht. Nach anwaltlicher Beratung erzielte die Klägerin eine Erhöhung des Kaufpreises und eine Verlängerung der mit einer weiteren wohnlichen Nutzung des Kaufgegenstandes gesondert eingeräumten, befristeten Rückkaufsoption. Die Klägerin lässt die notariell vereinbarte Rückkaufsfrist ergebnislos verstreichen und beruft sich auf Sittenwidrigkeit des Kaufpreises. Die Beklagte macht aufgrund der notariellen Vollstreckungsklausel Räumung geltend. Die von der Klägerin erhobene Vollstreckungsabwehrklage wird vom Landgericht abgewiesen, die Klägerin legt Berufung ein.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Das OLG hält die Klage für unbegründet und weist die Berufung zurück. Ein grobes Äquivalentsmissverhältnis liege grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber-/ oder Unterschreitung von 90% vor (BGH vom 24.01.2014 V ZR 249/12, Rn. 8). Die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung sei schon widerlegt, wenn beide Parteien, gleichermaßen auf das Wertgutachten aus dem K-Verfahren vertrauend, dieses ihrer Kaufpreisfindung im Notarvertrag zugrunde legen. Die Vermutung eines groben Missverhältnisses wird weiter erschüttert, wenn der Benachteiligte das Missverhältnis aus freien Stücken akzeptiert (BGH NJW 2007, 2842, ähnl. e. Bestätigung § 141 BGB), oder beim Grundstückskauf auf ein Wertgutachten vertraut (Jauernig/Mansel 18. Aufl. 2021 BGB § 138 Rn. 16). Die Berufung auf § 138 BGB kann dann rechtsmissbräuchlich sein (venire contra factum proprium § 242 BGB). Das vermeintliche Missverhältnis zwischen Grundstückswert und Kaufpreis entfällt nämlich dann, wenn der Benachteiligte dieses zu seinem Vorteil akzeptiert, um die Kosten für den Rückkauf niedrig zu halten und das Wertgutachten mit dem Erwerber der gemeinsamen Kaufpreisfindung zu Grunde legt. Wird das befristete Rückkaufsrecht im Grundbuch gewahrt, hat dies wertmindernde Auswirkung. Denn der Erwerber nimmt bei Abschluss des Kaufvertrages ein nicht unerhebliches Risiko auf sich, indem er den Kaufpreis sofort an den Verkäufer auskehrt, aber nicht frei über das Grundstück verfügen kann und der Verkäufer weiterhin Besitzer bleibt. Diese Verzögerungsgefahr spricht bei einer wertenden Gesamtschau gegen die verwerfliche Gesinnung des begünstigten Käufers.

Praxistipp

Mit einer (befristeten) Rückkaufsoption übernimmt der Käufer ein nicht unerhebliches Risiko, indem er den Kaufpreis sofort auszahlt, aber über die Liegenschaft nicht frei verfügen kann, er trägt damit das Risiko späteren Fehlverhaltens des Verkäufers, wie auch der Einbringlichkeit eines Nutzungsentgelts. Dies ist im Rahmen einer Gesamtschau wertbildend und lässt die Sittenwidrigkeit entfallen. Derjenige Verkäufer, welcher wusste, worauf er sich eingelassen hat und nach anwaltlicher Beratung aus freien Stücken die Vertragsbedingungen ändert/optimiert, unterliegt keiner „Ausnutzung“ i.S.v. § 138 II BGB. Eine komprimierte Entscheidung zur Billigkeit der Kaufpreisbildung bei Grundstückskaufverträgen, die einen guten Überblick über den aktuellen Meinungsstand vermittelt.

RA u. FA f. Miet- u. Wohnungseigentumsrecht
Michael E. Freudenreich, Ffm.

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