Kanzlei Freudenreich

IMR-Beitrag: Entscheidungsbesprechung


Vertragsfortsetzung nach rechtskräftigem Urteil und Schriftformmangel

1. Vollstreckungsschutz (§§ 712, 719 ZPO) erst in der Berufung?
2. Der Schutzzweck des § 550 BGB ist wegen des zusätzlichen Erwerberschutzes mit dem auf Beweisbarkeit und Übereilungsschutz beschränkten § 311 b I BGB nicht deckungsgleich.
3.Treuewidrigkeit bei Schriftformmangelkündigung erfordert neben Existenzbeeinträchtigung eine besondere Vertrauensgrundlage.

OLG Frankfurt am Main Beschl. v. 03.04.2018, Az.: 2 U 7/18 (vormals LG Frankfurt am Main, Az.: 2-13 O 36/16) BGB §§ 550, 126 II und 242 BGB, 417, 719, 712 ZPO

Problem/Sachverhalt

Das Gewerberaummietverhältnis über ein Wettbüro war nach Ende der Festlaufzeit durch mündliche Vereinbarung mit der Geschäftsleitung der Beklagten zu 2 auf die Beklagte zu 1 übergegangen. Folge dieses Übergangs war, dass die Zahlungsklage des Vermieters gegen die alte Mieterin (Beklagte zu 2) rechtkräftig abgewiesen wurde. Aus den Entscheidungsgründen folgt, dass ein Mietvertrag zwischen Klägerin und Beklagter zu 1, die am Rechtsstreit nicht beteiligt war, neu geschlossen wurde.
Auf Kündigung der Klägerin wegen Schriftformmangels berief sich die Beklagte zu 1 auf die „äußere Form“ der Urteilsurkunde im Vorprozess und auf Existenzbedrohung. Das LG gab der Räumungsklage statt, die Beklagte stellte erstmalig im Berufungsrechtszug Antrag auf Räumungsschutz.

Entscheidung

Der Schutzantrag (§§ 712, 719 ZPO) kann auch erst in der Berufungsinstanz gestellt werden (BGH v. 12.07.2017, XII ZR 46/17 ebenso OLG Ffm. v. 06.02.2017, 2 U 174/16 jetzt wohl h. M.).

a) Die Beweiswirkung der Urteilsurkunde nach § 417 ZPO entfällt auch bei Rechtskraft, wenn die wesentlichen Erwägungen nur in den Entscheidungsgründen und nicht im Urteilstenor enthalten sind. Ein Urteil ist zur Verschriftlichung der Bedingungen eines Mietvertrages zwischen mehreren Parteien nur geeignet, wenn die (tenorierte) Vertragsänderung durch alle Vertragsparteien unterzeichnet wurde, § 126 II BGB (BGH v. 30.04.2014, XII ZR 146/12), einschließlich des (künftigen) Erwerbers. Letzteres ist mangels Beteiligung des Erwerbers am Zustandekommen des Urteils regelmäßig nicht der Fall.
b) Vertragslaufzeit und Parteiwechsel unterfallen dem Schriftformerfordernis (seit BGH NJW 1975, 1653 f. st. Rspr.); dies gelte nach dem OLG auch für die Falschbezeichnung der Partei im Mietverhältnis. Denn § 550 BGB geht wegen des Erwerberschutzes (Dreipersonen-verhältnis), wonach die Bedingungen des Mietverhältnisses aus dem schriftlichen Vertrag ersichtlich sein müssen, wenn dieser mehr als 1 Jahr fest läuft (BGH NZM 2018, 38) weiter, als die Form des § 311 b I BGB. Letztere ist auf Übereilungsschutz und Beweisbarkeit im Zweipersonenverhältnis beschränkt (Falschbezeichnung unschädlich bei Grundstückskauf, BGHZ 87, 150 ff, 153).
c) Treuewidrig ist die Berufung auf den Schriftformmangel, wenn neben der Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz, die bei einer Gewerbevermietung regelmäßig vorliegt, eine besondere Vertrauensgrundlage geschaffen wurde. Hierbei können mündliche Zusagen über die Hoferbfolge und getätigte Vermögensopfer, die auf Parteiabreden beruhen, im Ausnahmefall eine besondere Vertrauensgrundlage schaffen (BGHZ 23, 249 ff, (258 ff)).

Praxistipp

Der Beschluss des OLG zeigt alle rechtlich relevanten Register für eine Kündigung wegen Schriftformmangels auf. Die vom BGH am 27.09.2017 (XII ZR 114/16) eröffnete Möglichkeit der Berufung auf § 242 BGB hat das OLG in Anlehnung an die Hoferbfolgeentscheidung in BGHZ 23, 249 ff., auf Ausnahmefälle beschränkt. Danach dürfte die „Falschbezeichnung“ der Miet-Vertragsparteien die Schriftform, § 550 BGB nicht (mehr) wahren (a. A. für den Grundstückskaufvertrag im Zweipersonen-verhältnis noch der IX. Senat, der aber wohl wegen der Registersicherheit den Unterschied zum Dreipersonenverhältnis bei § 550 BGB offen ließ (BGHZ 204, 83-114).

RA u. FA f. Miet- u. Wohnungseigentumsrecht
Michael E. Freudenreich, Ffm.

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