Kanzlei Freudenreich

Wirksame Kündigung erst im Prozess?


Die auf neue Zahlungsrückstände gestützte Prozesskündigung wird als Klageänderung (§ 533 ZPO)

Ein Zahlungsrückstand ab einer Monatsmiete ist eine erhebliche und meist unheilbare Pflicht­verletzung (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

LG Frankfurt/Main, Urteil vorn 30.09.2019 - 2-11 S 63/19, Volltext: IMRRS 2019, 1285 = BeckRS 2019, 19090 BGB § 543 Abs. 1, 2, § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1; ZPO §§ 78, 267, 529, 533

 

Problem/Sachverhalt

Die Parteien stritten um Räumung und Herausgabe von Wohnraum aufgrund von Zahlungsrückständen, die dem Verlauf des Verfahrens folgend in immer wei­teren Beträgen geltend gemacht wurden. Aufgrund Zahlungsrückständen über zwei Monatsmieten inner­halb von drei Monaten hatte das Amtsgericht auf Räumung erkannt. Soweit der Mieter Minderung für einen Monat behauptete, wies das Amtsgericht dar­auf hin, dass derjenige Mieter, der bei Kündigungszu­gang mit der Entrichtung der Miete für zwei aufeinan­derfolgende Termine in Höhe eines Betrags, der eine Monatsmiete übersteigt, in Verzug geraten war, selbst bei einer vom Gericht zu unterstellenden Minderung von 10%— rechnerisch — 2,55 Monatsmieten schulde, so dass die Voraussetzungen für § 543 Abs. 2 Nr. 3b BGB gegeben waren. Der Mieter legt Berufung ein. Aufgrund weiterer Zahlungsrückstände mit über fünf Monatsmieten kündigte der Vermieter im Prozess-er­neut. Der Zahlungsrückstand blieb im Ergebnis unbe­stritten, da sich der Mieter — außerhalb von § 78 ZPO —nur privatschriftlich gegenüber der Kammer äußerte.

Entscheidung

Die Berufung hat keinen Erfolg! Die Berufungskam­mer hält die Prozesskündigung wegen Zahlungsrück­stands mit über fünf Monatsmieten für wirksam, weil der Mieter ihr nichtentgegengetreten ist. Sein privat­schriftliches Vorbringen (Mieter) bleibt im Anwalts­prozess (§ 78 ZPO) unberücksichtigt mit der Folge nach § 138 Abs. 3 ZPO, Die Prozesskündigung ist als Klageänderung zulässig, da der Mieter die Klageän­derung nicht gerügt hat (§ 267 ZPO) und aufgrund bekannter Tatsachensituation die Sachdienlichkeit von der Kammer bejaht wird. Der Zahlungsrückstand von mehr als fünf Monatsmieten stellt stets einen Grund für die außerordentliche Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 a, b BGB dar mit der Folge, dass

die Prozesskündigung als außerordentliche Kündigung durchgreift. Auch qualifiziert sich ein Mietrückstand von mehr als einer Monatsmiete als erhebliche und im Ergebnis hier unheilbare Pflichtverletzung. Dies hat die ordentliche Kündigung gerechtfertigt (5 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB) und kann nicht nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB geheilt werden. Da der Zahlungsrückstand ab einer Monatsmiete eine erhebliche Pflichtverlet­zung darstellt, kommt eine vom Mieter behauptete (str.) Minderung von 19% mangels weiterer Darlegung hier entscheidungserheblich nicht in Betracht.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist sehr praxisrelevant, da sich der auf Zahlungsverzug klagende Vermieter häufig mit streitigen Minderungseinreden auseinandersetzen muss, an deren Substanziierung angesichts der, er­heblichen Pflichtverletzung bei Zahlüngsrückständen ab einer Monatsmiete auch ein erhöhter Sorgfalts­maßstab auf Beklagtenseite anzulegen ist. Mehrfach schriftsätzlich gewählte Prozesskündigungen, von der herrschenden Meinung seit Langem anerkannt (BGH, Urteil vom 02.11.1988 — VIII ZR 7/88, IBRRS 2007, 0812, und Urteil vom 06.11.1996 — XII ZR 60/95, IMRRS 2007, 2556), hat die Kammer als wirksame Kla­geänderung i.S.v. § 533 ZPO behandelt und — mangels Rüge des Mieters — neben der Zulässigkeit auch die Sachdienlichkeit bejaht. Denn die Kündigung stützte sich auf (neue) Zahlungsrückstände, mithin neue Tat­sachen, deren Berücksichtigung zulässig sei (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Angesichts der Beschränkung der Heilungsmöglichkeit des Mieters auf die außerordent­liche Kündigung kommt der ordentlichen Kündigung im Prozess nach den Grundsatzurteilen des BGH (IMR 2018, 449, und IMR 2018, 503) wegen der kurzen gesetzlichen Kündigungsfrist, bei Mietdauer unter fünf Jahren, besondere Bedeutung zu.

RA Michael E. Freudenreich, Frankfurt a.M.