Kanzlei Freudenreich

Individualabrede geht einer qualifizierten Schriftformklausel vor!


Der Vorrang der Individualabrede gern. § 305b BGB greift auch gegenüber einer in einem Formularmietvertrag vereinbarten qualifizierten Schriftformklausel, wonach alle Änderun­gen des Vertrags und der Schriftformklausel selbst der Schriftform bedürfen. Bei Verein­barung einer solchen Klausel durch den Vermieter kann sich jedenfalls ein Erwerber auf § 305b BGB berufen. Es ist mit § 550 BGB nicht vereinbar, wenn ein Erwerber an eine münd­liche Vertragsänderung gebunden wäre. Zudem hat eine Schriftformheilungsklausel keine Wirkung gegenüber einem Erwerber.

KG, Urteil vom 19.05.2016 - 8 U 207/15, Volltext: IMRRS 2016, 0889 - BeckRS 2016, 09687 BGB § 126 Abs. 2, §§ 305b, 550

 

Problem/Sachverhalt

In einem AGB-Gewerberaummietvertrag wird als Mietzweck ,,die Lagerung und der Verkauf von Stof­fen und Kurzwaren" vereinbart. Eine andere Nut­zung bedarf der schriftlichen Zustimmung des Ver­mieters, Ferner enthält der Mietvertrag eine Klausel, wonach alle Änderungen des Mietvertrags und der Schriftformklausel selbst der Schriftform bedürfen (sog. „qualifizierte Schriftformklausel"). Zudem sieht der Mietvertrag eine Schriftformheilungsklausel vor. Während der Mietzeit bestätigt der Vermieter in einem Schreiben, dass dem Mieter auch das Lagern und der Handel von „handelsüblichen Waren" gestattet ist. Einen Nachtrag hierüber schließen die Parteien nicht. Daraufhin nutzt der Mieter die Flä­che in dem erweiterten Umfang Nachdem die Immobilie veräußert ist, kündigt der Erwerber deswe­gen mit ordentlicher Frist wegen Schriftformversto­ßes Mit Erfolg?

Entscheidung

Ja! Die Kündigung des Erwerbers ist berechtigt. Die Änderung des Mietzwecks ist aufgrund der erteilten Zustimmung des ursprünglichen Vermieters wirk­sam Zwar liegt darin ein Verstoß gegen die qualifi­zierte Schriftformklausel, da die Mietzweckänderung nicht im Rahmen einer zweiseitigen schriftlichen Vereinbarung i.S.v § 126 Abs. 2 BGB getroffen wurde, sondern der Mieter seine Zustimmung nur konkiudent durch die tatsächliche Nutzungsaufnah­me der Räume im erweiterten Umfang erteilt hat, Allerdings geht diese Individualvereinbarung gern. § 305b BGB der qualifizierten Schriftformklausel vor. Denn die Parteien haben mit dieser Vereinba­rung konkludent auf die Einhaltung der Schriftform verzichtet. Diese konkludente Abrede ver­stößt allerdings aus Sicht des Erwerbers gegen das Schriftformerfordernis nach § 550 BGB Denn es ist mit § 550 BGB wäre. Eine ordentliche Kündigung des Erwerbers aufgrund dieses Schriftformverstoßes ver­stößt auch nicht gegen die im Mietvertrag vereinbar­te Schriftformheilungsklausel. Denn nach dem BGH bindet eine Schriftformheilungsklausel jedenfalls nicht einen Erwerber (IMR 2014, 155).

Praxishinweis

In der Praxis ist bei vertragsändernden Abreden größte Vorsicht geboten Trotz einer qualifizierten Schriftformklausel können mündliche individuell ver­einbarte Änderungen eines Formularmietvertrags aufgrund des Vorrangs der Individualabrede wirk­sam sein, dann aber einen Schriftformverstoß gemäß § 550 BGB begründen. Ein möglicher Erwer­ber könnte dann ordentlich kündigen, da er an eine etwaige Schriftformheilungsklausel nicht gebunden ist. Ob die Ursprungsparteien eines Mietvertrags auch an eine Schriftformheilungsklausel gebunden wären, die keinen Geltungsausschluss für einen Erwerber enthält, hat der BGH bislang nicht ent­schieden. Zumindest nach dem OLG Braunschweig (IMR 2015, 495) hat die Klausel für die Ursprungs­parteien Bestand; eine generelle Unwirksamkeit sei nicht erforderlich, um einen Erwerber zu schützen.

RA Dr. Lars Kölling, Düsseldorf